Das Geheimnis der Eulerschen Formel by Yoko Ogawa

Das Geheimnis der Eulerschen Formel by Yoko Ogawa

Autor:Yoko Ogawa [Ogawa, Yoko]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Liebeskind
veröffentlicht: 2003-06-09T22:00:00+00:00


Die Tigers führten nun mit 6 : 0, aber die ganze Aufmerksamkeit der Zuschauer galt Nakagomi, der als Pitcher der Tigers bislang jeden Spieler der gegnerischen Mannschaft ausgeworfen hatte. Obwohl sein Team führte, waren die Fans hinter der dritten Base etwas ruhiger geworden. Als die Tigers im Schlussabschnitt keinen Punkt erzielen konnten, ging ein Raunen durch die Menge. Wenn die Tigers ihren Vorsprung ausgebaut hätten, wären ihre Anhänger bestimmt gelassener gewesen, aber seit dem zweiten Durchgang war ihnen nicht mehr viel gelungen. So kam es, dass ein regelrechter Zweikampf zwischen Nakagomi und den Schlagmännern der gegnerischen Mannschaft entbrannte, denn nur noch die konnten punkten.

Als Nakagomi sich in der neunten Runde von der Bank erhob und auf den Hügel zuschritt, hörte man in der allgemeinen Geräuschkulisse, wie jemand, der die Anspannung nicht mehr ertrug, von der Tribüne dem Pitcher aufmunternd zurief:

»Nur noch drei!«

Drei Schlagmänner auszuwerfen, ohne dass sie an den Ball kamen, so lautete Nakagomis Aufgabe. Ein Raunen ging durch die Zuschauermenge, denn der Rufer hatte das ausgesprochen, was alle Fans erhofften, aber keiner auszusprechen wagte. Der Einzige, der etwas sagte, war der Professor: »Die Wahrscheinlichkeit, dass der Pitcher keinen einzigen Schlag mehr zulässt, beträgt gerade mal 0,18 Prozent.«

Hiroshima schickte einen Einwechselspieler an den Schlag, und Nakagomi warf seinen ersten Pitch. Der Wurf war gut, aber der Schlagmann traf mit voller Kraft. Der Ball flog in den blauen Nachthimmel, wobei er eine anmutige Parabel beschrieb, wie ich sie aus den verstaubten Heften des Professors kannte. Er war heller als der Mond und schöner als die Sterne, als er am Firmament verschwand. Alle hoben erstaunt den Blick und schauten ihm hinterher.

Aber als der Ball den Scheitelpunkt erreichte und zu sinken begann, war alle Anmut verschwunden. Seine Fallgeschwindigkeit steigerte sich zusehends, und er raste wie ein Meteorit nach einer langen Reise durch das Weltall mit Höchstgeschwindigkeit auf uns zu.

Von irgendwoher ertönte ein Schrei.

»Pass auf!« rief der Professor. Der Ball streifte Roots Knie, schlug auf dem Betonboden auf und sprang hinter uns über die Tribüne.

Der Professor hatte sich schützend über Root gebeugt. Mit ausgebreiteten Armen und vorgestrecktem Kopf hielt er den Jungen umschlungen, fest entschlossen, ihn vor jeglicher Gefahr zu bewahren.

Der Ball war längst eingesammelt, aber die beiden saßen immer noch reglos da. So gerne Root sich wieder richtig hingesetzt hätte, er vermochte sich nicht aus den Armen des Professors zu befreien, da dieser keine Anstalten machte, sich zu bewegen.

»Bitte achten Sie auf fehlgeschlagene Bälle«, warnte der Stadionsprecher die Zuschauer.

»Es ist vorbei«, versuchte ich den Professor zu beruhigen. Zu seinen Füßen lagen die Erdnüsse, die ihm aus der Hand gefallen waren.

»Ein Baseball wiegt 141,7 Gramm. Wenn er aus einer Höhe von 15 Metern herunterfällt, hat er dasselbe Gewicht wie eine Eisenkugel von 12,1 Kilogramm … Der Aufprall wird also 85,39-mal stärker sein als …« Leise murmelte der Professor vor sich hin. Auf den Rückenlehnen der beiden waren die Zahlen 714 und 715 eingraviert. Ebenso wie ich mit dem Professor durch das Zahlenpaar 220 und 284 verbunden war, teilten er und Root die geheimen Bande benachbarter Zahlen.



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